Hallo ihr Lieben!
Es war einmal ein Weihnachtsstollen, der war ganz durchgeknetet von
dem Gedanken, als leckeres Frühstücksbrot mit Butter zu dienen. Ja, es
wurde ihm sogar in Aussicht gestellt, zum Nachmittagskaffee serviert zu
werden, wie Kuchen, wie richtiger Kuchen.
Nun lag der süße Stollen aber schon wochenlang im Brotfach, lag da in
durchsichtigem, glänzendem Weihnachtspapier mit Schneelandschaft und
Christkindschlitten und musste mit ansehen, wie alle anderen Brote
gebraucht wurden:
das Schwarzbrot, das Vollkornbrot; sogar das Weißbrot und das
Knäckebrot kamen regelmäßig an die Reihe und durften sich bewähren.
Ich glaube, der Stollen wurde ganz blass vor Neid und vor Ungeduld,
aber das konnte man nicht sicher sagen, weil er ja über und über mit
Puderzucker bedeckt war.
"Da hat man soviel Aufhebens um mich gemacht," dachte der Stollen
bitter wie Sukade, "hat mich gesüßt und mit Rosinen gespickt.
Ja sogar Marzipanstückchen hat die Hausfrau in mich hinein gebacken.
Und nun? Nun bin ich überflüssig und gammele hier `rum, schön und
lecker, aber unnütz."
Doch dann kam Heiligabend. Die Hausfrau stellte im Wohnzimmer die
Geschenke auf. Und nun, nun deckte sie in der Küche den festlichen
Kaffeetisch des Jahres; und das Beste, das Edelste und das Leckerste,
das sie zu bieten hatte, das war der Weihnachtsstollen.
Leider konnte er seine große, feierliche Wichtigkeit nicht lange genießen,
denn er schmeckte gar zu gut und war nach einer halben Stunde
gegessen.
Helmit Wördemann