Was kann ich von meinem Kind eigentlich erwarten, welche Entwicklung ist in welchem Alter normal?
Unzählige Eltern sind verunsichert – überfordern sie ihr Kind oder sind sie zu nachgiebig? Kinderpsychiater Dr. Michael Winterhoff (53)* sagt, wie sich ein Kind von der Geburt bis zum Teenager psychisch entwickelt.
0 bis 2 Jahre
Der Säugling lebt im Paradies. Er darf mit voller Berechtigung die sofortige Befriedigung seiner Bedürfnisse erwarten und braucht dazu nur eine einzige automatische Vorgehensweise, um diese Befriedigung herbeizuführen: Er schreit.
Bis zum Alter von etwa zehn Monaten ist das die einzig mögliche Ausdrucksform für ein Kind, erst dann entwickelt sich ganz zart die Fähigkeit, kurzfristige Frustration auszuhalten, ohne dabei einen psychischen Schaden zu erleiden.
Die Mutter in der Intuition verlässt sich auf ihr Gespür und wird mal so, mal so reagieren. Sie handelt aus sich heraus, somit gibt es kein richtiges oder falsches Verhalten.
Trotzdem wird das Kind bis etwa zum Alter von zweieinhalb Jahren in einer Phase verbleiben, in der es respektlos gegenüber seiner menschlichen Umwelt ist, da es sich alleine auf der Welt wähnt. Diese Form des frühkindlichen Narzissmus ist normal und kann auch durch äußere Beeinflussungsversuche nicht unterbunden werden.
2 bis 3 Jahre
Kinder zwischen zwei und drei Jahren sind in der sogenannten Trotzphase. Trotz ist ein normaler Entwicklungsschritt auf dem Weg zur Selbstbildung des Kindes, also der Unterscheidung zwischen sich und dem Gegenüber.
Hat es in dieser Zeit Eltern als Gegenüber, die in sich ruhen und das Kind als Kind sehen und sich damit in Konflikten besonnen verhalten, ohne sie mit dem Kind auszudiskutieren, und die ihren persönlichen Wert auch nicht von der Zuwendung ihres Kindes abhängig fühlen, wird es die Trotzphase mit der Zeit ablegen. Es lernt Frustration auszuhalten und sich sozial einzuordnen.
Durch diese Erfahrung verändert sich das Weltbild des kleinen Kindes, das vor allem darin besteht, möglichst schnelle Bedürfnisbefriedigung zu erfahren. Während diese beim Säugling noch sofort erfolgen muss, kann das Kind auch schon mal einen Moment abwarten.
3 bis 5 Jahre
Im Alter von drei Jahren ist die sogenannte Selbstbildung bei einer gesunden Entwicklung abgeschlossen, d. h. ganz konkret: Das Kind kann jetzt zwischen sich und seinem Gegenüber unterscheiden.
Bis zum Alter von fünf Jahren nimmt vor allem die Fähigkeit zu, anhaltend aus Konflikten zu lernen. Das Kind hat bei gesunder Entwicklung nun zu einer tiefen Beziehungsfähigkeit gefunden, die sich im Alltag an vielen Stellen bemerkbar macht.
So würde ein Fünfjähriger beispielsweise für die Eltern Dinge wegräumen oder eine Verpackung in den Mülleimer werfen. Er tut dies über die Beziehung zu Vater und Mutter, nicht weil er versteht, dass es stört, wenn Dinge im Weg stehen oder dass Müll weggeworfen werden muss.
Ab 6 Jahre
Ab sechs Jahren ist das Kind in einem noch höheren Maße fähig, Regeln zu akzeptieren und zu übernehmen, schon bald macht es sich viele davon zu eigen, es „internalisiert“ sie.
Der Sinn von Regeln muss damit nicht stets hinterfragt werden, ihr Einhalten erfolgt oft automatisch, unerlässlich für reibungslose Abläufe im späteren Leben.
Ab 14 Jahre
Etwa ab dem 14. Lebensjahr ist es Jugendlichen möglich, Fehler und Schwachpunkte bei anderen Menschen zu erkennen.
Sie merken jetzt genau, wenn Mitschüler, Freunde oder Lehrer sich falsch verhalten. Ab 15 gilt das ebenfalls im Bezug auf die eigenen Eltern, und erst mit 16 Jahren erkennt der Jugendliche diese Fehler auch bei sich selbst.