Unzählige Kinder kommen ohne ein Pausenbrot in die Schule, weil es sich ihre Eltern nicht leisten können.
Immer mehr Schulen kooperieren deshalb mit dem Netzwerk Tafel. Die gemeinnützige Organisation versorgt die Kinder mit Pausenbrot und warmen Mahlzeiten.
Lehrer werden am ehesten zu Zeugen der Not, stellen fest, dass sich die Kinder im Unterricht nicht konzentrieren können. Wenn sie nachfragen, erfahren sie oft, dass zu Hause nicht einmal gefrühstückt wurde. Führen die Gespräche mit den Eltern nicht weiter, wenden sich inzwischen viele Lehrkräfte an eine von mittlerweile 450 Tafeln, die an mehr als 1000 Ausgabestellen täglich Lebensmittel an rund 500 000 Menschen ausgeben.
Je nach Standort versuchen die Tafeln, die in Deutschland inzwischen von 20 000 Menschen unterstützt werden, mit verschiedenen Modellen auch Schulen Hilfe zukommen zu lassen. In der Regel liefern die mit Ehrenamtlichen arbeitenden Einrichtungen den Schulen Brötchen, Obst und Joghurt, um diejenigen Kinder zu versorgen, die sonst hungrig in der Klasse säßen.
Die Berliner Tafel, die 1993 als erste in Deutschland gegründet wurde, ist 2004 mit der Einrichtung des von Montag bis Freitag geöffneten Kinder- und Jugendrestaurants „5 Jahreszeiten“ sogar noch einen Schritt weitergegangen: Bis zu 200 Schüler werden hier täglich mit Pausenbrotbeuteln oder mit einer warmen Mittagsmahlzeit versorgt. Die Lebensmittel stammen wie bei den Tafeln von Produzenten, Einzelhändlern und privaten Spendern.
Trotz des Engagements der Tafeln in Deutschland hat sich die Lage in den vergangenen fünf Jahren nicht entspannt. Aus der soeben veröffentlichten Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung geht hervor, dass der Anteil armer Kinder in Westdeutschland bei 9,8 Prozent, in den neuen Bundesländern sogar bei 12,6 Prozent liegt. In den 1980er-Jahren sei die Kinderarmut noch rückläufig gewesen, doch seit den 90ern steige sie stärker als im Bevölkerungsdurchschnitt.
Ab wann spricht man von "Kinderarmut"?
Für das UN-Kinderhilfswerk, das Anfang März 2005 eine internationale Vergleichsstudie zum Thema Armutsrisiko vorlegte, gelten diejenigen Familien eines Landes als arm, die mit weniger als der Hälfte des Durchschnittseinkommens auskommen müssen. Nach dieser (umstrittenen) Definition leben in Deutschland 1,4 Millionen Mädchen und Jungen unter 18 Jahren in Armut, was einem Anteil von 10 Prozent entspricht.
Ganztagsschulen verschärfen das Problem
Zusätzliche Probleme ergeben sich durch die Einführung von Ganztagsschulen. Kinder aus sozial schwachen Familien können sich das dort übliche Schulmittagessen oft nicht leisten. Rund 7700 Ganztagsschulen gibt es derzeit in Deutschland, Tendenz steigend. Für das Mittagessen wird ein Kostenbeitrag erhoben, den der Schulträger, in der Regel also die jeweilige Kommune, festlegt. In den meisten Ganztagsschulen müssen die Kinder und Jugendlichen drei Euro für ein warmes Essen bezahlen. Offene Ganztagsschulen erheben außerdem noch Beiträge für das Betreuungsangebot am Nachmittag.
Haushalten, die in Einkommensarmut leben, stehen pro Tag und Kind oft aber nur rund 4,50 Euro für die Zubereitung von Frühstück, Mittag- und Abendessen zur Verfügung. Kostenpflichtige Mahlzeiten in den Schulen sind für sie eine unzumutbare Belastung. Einige Schulen haben zur Selbsthilfe gegriffen und Fördervereine gegründet, um Kindern aus sozial schwachen Familien die Teilnahme am Schulmittagessen zu ermöglichen. So finanziert der an der städischen Ganztagsschule am Lönkert in Bielefeld agierende Förderverein nicht nur Freizeitangebote, Lehr- und Lernmittel für die Schüler sondern auch das Mittagessen.
Tafeln können Problem der Kinderarmut nicht lösen
Gelöst werden können diese Probleme nicht von den Tafeln, die in Deutschland täglich bereits weit mehr als 165 000 Kinder und Jugendliche mit Lebensmitteln versorgen, sondern nur von der Gesellschaft und den politisch Verantwortlichen. Armut - auch die Armut von Kindern - in Deutschland ist kein Einzelproblem. Besonders betroffen sind - das ergeben die einschlägigen Studien - Kinder aus Einwandererfamilien und von Alleinerziehenden. Gerade solche Kinder also, die vom Angebot der Ganztagsschulen und der damit verbundenen stärkeren Förderung am meisten profitieren würden. Diesen Kindern einen Besuch dieser Schulen und somit auch ein warmes Mittagessen zu ermöglichen, sollte als gesellschaftliche Aufgabe erkannt werden. Es wäre wünschenswert, dass die Politik, die Schulen und deren Träger zu praktikablen Lösungen kommen.