Vor 50 Jahren, im Sommer 1960, wurde die Antibabypille offiziell als Verhütungsmittel auf dem US-Markt vorgestellt. Am 1. Juni 1961 kam der Verkaufsschlager nach Deutschland. Der Antibabypille vertrauen weltweit 100 Millionen Frauen. Die Pille wird als Befreiung der Frau gefeiert. „Ich habe die Pille als ungeheure Befreiung empfunden“, sagte die Publizistin Alice Schwarzer.
Als Befreiung der Frau gefeiert oder als Teufelswerk geschmäht – vor 50 Jahren wurde in den USA die Antibabypille zugelassen. Trotz scharfer Kritik avancierte das Hormonpräparat jenseits des Atlantiks wie auch hierzulande rasch zum Verkaufsschlager. Aber bald zeigten sich Schattenseiten. „Am Anfang überwog die Euphorie“, bilanziert Robert Jütte vom Institut für Geschichte der Medizin in Stuttgart. „Dann folgte allmählich Ernüchterung.“
Die Zahlen sprechen für sich: Weltweit nutzen schätzungsweise 100 Millionen Frauen die Antibabypille. In Deutschland vertrauen laut einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 55 Prozent der verhütenden Frauen auf das Hormonpräparat. Die Pille gilt als bequem, relativ verträglich und zuverlässig. Die Diskussion um die öffentliche Moral ist schon vor Jahrzehnten verstummt.
Wie sich die Zeiten geändert haben, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Vor 50 Jahren glich die Ankündigung der US-Zulassungsbehörde, das Präparat Enovid als Verhütungsmittel zu genehmigen, einer Entschuldigung: „Die Zustimmung basiert auf der Sicherheit“, erklärte FDA-Mitarbeiter John Harvey am 9. Mai 1960. „Unsere Vorstellungen von Moral haben damit nichts zu tun.“
Mit dem Zulassungsantrag der Pharmafirma G. D. Searle hatte sich die Behörde Zeit gelassen. Dabei nahmen zu dieser Zeit schon mindestens eine halbe Million Frauen das Mittel. Denn Enovid war bereits seit drei Jahren erhältlich – zur Linderung starker Menstruationsbeschwerden. Als das Präparat dann im Sommer 1960 offiziell als Verhütungsmittel auf den US-Markt kam, schnellte die Nachfrage derart in die Höhe, dass der deutsche Hersteller Schering hierzulande schon am 1. Juni 1961 mit dem Präparat Anovlar nachzog. Das DDR-Pendant Ovosiston wurde im Jahr 1965 als „Wunschkindpille“ vorgestellt.
„Sexualität war ein Tabu“
Während die neue Verhütungsmethode in Ostdeutschland allgemeine Zustimmung fand, rührte sie in der Bundesrepublik am Fundament der Gesellschaftsordnung. „Damals herrschten sehr konservative Moralvorstellungen, Sexualität war ein Tabu“, erinnert sich Gisela Notz, Bundesvorsitzende von pro familia. „In der sexuellen Befreiung sahen die katholische Kirche und selbst ernannte Lebensschützer den Untergang des Abendlandes.“
Zwar verhüteten viele Paare auch schon Jahrzehnte vor Einführung der Pille, etwa mit Kondomen. „Aber das gängigste Verfahren war damals der Coitus interruptus“, sagt Jütte. Diese Praxis verlangte den Frauen nicht nur Vertrauen in ihre Partner ab. Sie versagte regelmäßig – mit gravierenden Folgen: In der stockkonservativen Bundesrepublik blieb vielen Schwangeren nur die Wahl zwischen Muss-Ehe, gesellschaftlicher Ächtung als Mutter eines unehelichen Kindes oder einer illegalen, extrem teuren und oft lebensgefährlichen Abtreibung.
„Mit der Pille konnten Frauen erstmals selbst über die Verhütung bestimmen“, sagt Notz. „Das ermöglichte freiere und lustvollere Beziehungen, ohne die ständige Angst vor einer Schwangerschaft.“ Alice Schwarzer stimmt zu: „Ich habe die Pille als ungeheure Befreiung empfunden“, sagt die Publizistin. „Endlich konnten Frauen sich selbst vor ungewollten Schwangerschaften schützen.“
Dass die neue Freiheit manchen ein Dorn im Auge war, schmälerte den Erfolg der Pille kaum. Auch wenn Papst Paul VI. 1968 in seiner Enzyklika „Humanae vitae“ die künstliche Empfängnisverhütung ablehnte, wurden 1970 bundesweit 27 Millionen Monatspackungen verkauft. Aber schon da waren die Nachteile der hormonellen Verhütung nicht mehr zu übersehen. „Die Pille war ein Durchbruch in der Geschichte der Empfängnisverhütung, aber auch ein zweischneidiges Schwert“, sagt Jütte. „Einerseits wurde als Befreiung empfunden, dass man Sexualität von Fortpflanzung trennen kann. Auf der anderen Seite kritisierten Frauenrechtlerinnen, mit der Pille degradiere die männerdominierte Gesellschaft und Pharmaindustrie die Frau zum Lustobjekt.“
„War eine Hormonbombe“
Für Ernüchterung sorgten aber vor allem die immer deutlicher werdenden Gesundheitsrisiken. Die damalige Pille enthielt ein Mehrfaches der Dosis heutiger Präparate und verursachte bei vielen Frauen etwa Kopfschmerzen, Schwindel oder Übelkeit. „In den 1960er Jahren war die Pille eine Hormonbombe“, sagt Notz.
Schon im Herbst 1961 hatte ein englischer Arzt im Fachblatt „The Lancet“ erstmals den Fall einer Frau beschrieben, die nach Einnahme der Pille an einer Thrombose starb. Solche Berichte häuften sich, für weitere Verunsicherung sorgten Berichte über ein erhöhtes Krebsrisiko. Zwar hat sich dieser Verdacht bislang nicht bestätigt, aber auch bei geringerer Hormondosis steigern die Präparate die Gefahr für einen Gefäßverschluss.